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Geschichte des Hotels Berlin

Kapitel 2

Auf nach Berlin!

Nun zog Eduard Graf von Pückler Anfang der 1880 ganz nach Berlin. Er hatte den zweiten Teil des Jurastudiums, das Studium zum Gerichtsassessor, begonnen.

Berlin, Hauptstadt, Weltstadt! Aber er sah auch das Elend der Arbeiter, die in der aufstrebenden Industriestadt ihr Glück versuchten. Doch wie schnell wurden Arbeiter hier zu Arbeitslosen und Kaltmamsells zu ledigen Müttern. Trotz großer Bautätigkeiten gab es viel zu wenig Quartiere und in denen lebten die Arbeiterfamilien auf kleinstem Raum mit wenig Licht. Die typischen Berliner Mietshäuser waren bis zu fünf Stockwerke hoch und bestanden aus Vorderhaus, Seitenflügeln und einem oder mehreren Quergebäuden, so dass sich bis zu acht Innenhöfe ergaben. Die innenliegenden Wohnungen in den unteren Etagen wurden darum vom Tageslicht kaum erreicht. Es war nicht ungewöhnlich, dass eine ganze Familie in nur einem Zimmer hauste, das gleichzeitig auch Küche und Schlafzimmer war.

Weil auch viele Arbeiter keine Unterkunft hatten, konnten sie „für’n Jroschen über ’ner Schnur“ schlafen. Das heißt: In einer Kneipe wurde ein Seil von einer Ecke zur anderen gespannt und man konnte seinen Oberkörper über das Seil legen und schlafen – für 10 Pfennige.

Menschenhandel gab es auch damals schon. Junge Mädchen vom Land, die in der Stadt einen Job suchten, wurden am Görlitzer oder am Stettiner Bahnhof von Männern abgefangen, die ihnen eine gute Arbeit versprachen. Ehe sie sich’s versahen, waren sie in einem Bordell gefangen und wurden nicht selten in andere Städte weiterverkauft, besonders, wenn man nach einiger Zeit merkte, dass keine Verwandten das Mädchen vermissten.

Das ganze Treiben in Berlin um 1880 herum war schrecklich. Trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs bettelten Menschen, Kinder erkrankten an Diphtherie, wogegen es noch kein Mittel gab und viele Erwachsene litten unter Tuberkulose und gerieten dadurch in Arbeitslosigkeit und Armut. Gerade in der Stadt mit ihrer schlechten Luft und ihren unzureichenden hygienischen Einrichtungen gab es viele solcher Krankheiten, die sich oft zu Epidemien entwickelten. Wegen des überlasteten Be- und Entwässerungssystems traten häufig auch Ruhr und Typhus auf.

Der starke Bevölkerungszustrom nach Berlin überforderte auch die Kirchen, die im Kaiserreich eine zentrale Bedeutung für alle Bevölkerungsschichten hatten. Stand man ihnen auch zunehmend ablehnend gegenüber, waren sie doch noch relevant an zentralen Lebenspunkten aller Menschen: So wurden Taufen und Eintragungen in Geburtenregister, Konfirmationen, Eheschließungen, Sterbebegleitungen und Beerdigungen ganz selbstverständlich nach traditionellem christlichkirchlichem Ritus begangen.

Die vom Dorf nach Berlin zugezogenen Menschen, dort eingebettet in ein dörfliches Familienleben, wurden in Berlin zu Einsamen und Heimatlosen, die ganz auf ihre Arbeitskraft reduziert wurden. Und obwohl es viele Kirchen in Berlin gab, die sich die Stadt in Kirchenbezirke aufgeteilt hatten, boten sie den Angekommenen keinen Halt, keinen Anschluss und kein christliches Gemeindeleben. Auf jeden Pfarrer in Berlin kamen im Jahre 1888 mehr als 10.000 Gemeindemitglieder. Man kann wohl behaupten, dass die Pfarrer allein mit Taufen, Trauungen und Beerdigungen vollkommen ausgelastet waren.

Neben der Kirche galt dann auch die moderne Wissenschaft zunehmend als Orientierungsgeber für den modernen Menschen. Der Glaube an Gott wurde als Religionshörigkeit abgelehnt und man schwärmte davon, ein selbst denkender Mensch zu sein. Die Fokussierung auf den eigenen Verstand simulierte eine Diskrepanz zwischen Glauben und Denken. Dabei wird der Verstand des Menschen von Gott überhaupt nicht geringgeschätzt. Im Gegenteil, Verstand und Weisheit, Klugheit und Einsicht gelten auch in der Bibel als großartige Eigenschaften des Menschen, die ihn vom Tier abheben und überhaupt erst eine Gotterkenntnis zulassen.

Dieser Zeitgeist war in den Arbeitervierteln aber auch nur am Rande eine bewusste Betrachtungsweise. Hier merkte man hauptsächlich, dass die Kirche den Menschen immer weniger zu sagen hatte und man von ihr auf keiner Ebene Hilfe mehr erwartet wurde. Das Volk hatte letztlich neben Resignation nur noch Hass und Spott für sie übrig.

Kapitel 4 – Die Arbeit beginnt

Kapitel 7 – Frauen in St. Michael